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#Raumgefühl: Architektur denken – Stadtmuseum Siegburg

Stadtmuseum Siegburg - Außenansicht

Mitte Dezember hat Anett von Stadtsatz zu einer Blogparade mit dem Thema „Architektur denken (bewegen – sehen – hören – fühlen – riechen – schmecken)“ aufgerufen. Ein schönes Thema zu dem ich heute gerne einen Beitrag veröffentliche.

Architektur wird von vielen spontan mit dem Sehen verbunden und danach machen die meisten Menschen einen Punkt. Aber wer schon Mal in einem „schlechten“ Raum gewesen ist, der weiß, dass gerade Probleme mit dem Bewegen, Hören, Fühlen, Riechen oder Schmecken einen Raum zerstören kann. Ich bin als Architekt klar ein visueller Typ, aber auch die Haptik ist mir sehr wichtig. Ich komme in Räume und berühre Dinge. Auch das Einkaufen ist bei mir immer eine Kombination aus Sehen und Fühlen.

Stadtmuseum Siegburg

Ich habe mir als Gebäude das Stadtmuseum in Siegburg ausgesucht. Über das Gebäude habe ich schon im Studium eine historisch ausgerichtete Studienarbeit geschrieben. Das Geburtshaus Engelbert Humperdincks wurde 1826 auf den Fundamenten des mittelalterlichen Rathauses errichtet und bis 1933 als Schulgebäude genutzt. Der Komponist wurde hier 1854 als Sohn eines Lehrers geboren. Nachdem das Gebäude zwischenzeitlich das Amtsgericht und später Teile des Finanzamtes beherbergte, wurde es ab 1986 zur Nutzung als Museum umgebaut. 1990 öffnete hier das Stadtmuseum Siegburg seine Pforten.

Das Gebäude des Stadtmuseum Siegburg um 1910
Das Gebäude des Stadtmuseum Siegburg um 1910

Der Raumgefühl-Rundgang

Kommt also mit auf einen Rundgang mit allen Sinnen:

Ich stehe auf dem Marktplatz vor dem Geburtshaus Humperdincks. Es ist Dezember; es ist schon dunkel und die Luft ist kalt. Ich fröstle und freue mich auf das warme Museum. Um mich herum ist reger Trubel des mittelalterlichen Weihnachtsmarktes. Menschen lassen sich von Stand zu Stand treiben. Leise Gespräch kann ich verfolgen und ab und zu höre ich die Marktschreier in Ihrer altertümlichen Sprache. Überall sind Feuer und Kerzen – das Licht bewegt sich fortwährend und lässt die Schatten auf den Gebäuden tanzen. Kurz vor dem Eingang weht mir noch eine Mischung aus Gewürzen und frisch gebackenem Brot um die Nase. Die alte Fassade des Stadtmuseums wird mit einem sehr kalten Vordach aus Stahl ergänzt. Ich greife nach der Glastür und öffne sie. Im Vorraum wird es sofort ruhiger. Meine feuchten Schuhe quietschen auf dem Boden. Die erste Halle empfängt mich mit – im Vergleich zu Außen – sehr hellem Licht. Der Raum mit den offenen Ebenen und der tieferliegenden Bühne stülpt sich um mich und umarmt mich. Von den weißen, hellen,  modernen Wänden heben sich besonders die antiken Wasserspeier ab. Unten auf der Bühne wird für eine Veranstaltung geübt und Schritte und Stimmen hallen zu mir hoch. Ich gehe an den Rand der Sitztreppe und berühre eine dort sitzende Figur. Ich greife auf die oft angefassten Stellen der Puppe und ziehe meine Hände sofort wieder zurück. Die Figur erscheint echter als sie sein kann.

Foyer des Museums mit Figur
Foyer des Museums mit Figur

Ich verlasse das Erdgeschoss und gehe die leicht mitschwingende Stahltreppe hoch in die Ausstellungsräume. Der schwingende Stahl tönt in den leisen Raum. Dennoch wird es immer leiser und gedämpfter. Das Leben spielt sich draußen ab und hier drinnen, nur unterbrochen durch vereinzelte Trommelschläge, steht die gesamte Keramikgeschichte von Siegburg stumm vor mir. Ich berühre raue und glatte Tonexponate die alle mit der Zeit Raumtemperatur angenommen haben. Irgendwo um die nächste Ecke unterhält sich gedämpft ein Paar. Ich schlendere weiter zu der Humperdinck Ausstellung und werde dort in der Ecke mit Videos und Musik aus der Oper Hänsel und Gretel begrüßt.

Trauungszimmer
Trauungszimmer

Die oberen Geschosse verlasse ich nach einer Weile mit dem Aufzug und fahre in den Keller, welcher noch viel älter als das historische Haus selber ist. Angekommen im kleinen Weinkeller merke ich, dass die Luft verbraucht ist und neben Weingeruch auch den Schweiß von vielen Menschen trägt. Ich berühre die Bruchsteine des Raumes und spüre die angenehme Kälte der Steine. Im Raum selber ist es zu warm. Wahrscheinlich die Auswirkungen einer Trauung, die hier heute stattgefunden hat. Durch enge kleine Gänge laufe ich durch den Keller über die Reste von alten Mauern. Die rauen, natürlichen Steine stehen im Gegensatz zu den teilweise glatten Keramikböden und Stahlgerüsten über die ich gehe. Ein Raum links von mir erregt meine Aufmerksamkeit. Ich bücke mich durch die enge Öffnung und hocke in einem dunklen Raum dessen Ausmaße ich nur schätzen kann. Plötzlich geht das Licht an und eine Stimme vom Band begrüßt mich und erzählt mir, dass dieser Raum lange unbekannt war und erst bei den letzten Bauarbeiten wiedergefunden wurde. Der Raum ist klein und wurde nicht verändert.

der wiederentdeckte Raum
der wiederentdeckte Raum

Ich beschließe, dass es Zeit zu gehen ist und wandere entlang des Rundganges, vorbei an der hier wiederaufgebauten Glockengießereigrube zurück zum Ausgang. Die Proben auf der Bühne sind mittlerweile zu Ende und ich steige alleine die Stufen hoch und gehe zum Eingang heraus. Die Ruhe des Museum möchte ich jetzt wieder mit der erfrischenden Kälte und dem Tubel draußen tauschen. Ich gehe durch die Tür und werde vom Leben wieder begrüßt.

Weiterführende Links

Virtueller Rundgang „Museum“ von der Stadt Siegburg: http://www.siegburg.de/applications/stadtmuseum/virtueller_rundgang/index.html

Artikel zu der Blogparade: http://www.stadtsatz.de/blogparade-raumgefuehl-architektur-denken/

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Autor

Ich bin Architekt und seit 2009 veröffentliche ich archimag.de. Wenn Ihr Wünsche oder Anregungen habt, dann her damit. Ich freue mich über Eurer Feedback.

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Viola sagt:

    Hallo Sebastian,
    Deine sinnliche Schilderung macht sehr große Lust, selbst einmal diese Räume zu besuchen, um diese Eindrücke vom Stadtmuseum nachzuempfinden. Den geschichtlichen Einstieg finde ich auch sehr interessant. Toller Beitrag!
    Viele Grüße, Viola

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