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Ausstellung „Le Corbusier – Baumeister des Interieurs“

LCs Portrait

Le Corbusier – jetzt erst recht

«Baumeister des Interieurs»: Ausstellung von Kunst, Möbeln und Farben des Giganten in Schaffhausen

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Er hat es nicht leicht zurzeit, der gute alte Corbu: Die UBS kippt ihn nach einer aufgewärmten und skandalisierten Artikelserie aus Ihrer Imagekampagne – «Antisemit», lautet das Verdikt –, und die NZZ schreibt, nicht er, sondern Charlotte Perriand habe die weltberühmten Möbelklassiker entworfen, die unter dem Namen Le Corbusiers vermarktet werden. Sollte die Leistung des Universalgenies (*1887 La Chaux-de-Fonds, †1965 Cap Martin, Frankreich) als – unter anderem – Architekt, Künstler, Möbeldesigner und Autor also nicht halb so grandios sein, wie zig Jahrzehnte behauptet? Und dass die Nationalbank ihn mit der 10er-Note ehrt: Ist das bloss das Resultat übler Geschichtsklitterung?
Bleibende Werte fürs Daheim:

Seine Möbel…

Dass der Schweizer von Geburt und Franzose von Herzen sagenhafte Gebäude geschaffen hat, die ihn bis heute als Lichtgestalt der Architektur bestehen lassen, steht ausser Frage. Genauso wenig wie die Tatsache, dass er auch für den inti­meren Rahmen – den Innenraum – Aussergewöhnliches von zeitloser Kraft geschaffen hat: Kunst, Einrichtungsstücke und Wandfarben. Davon kann man sich ab 11. November bis 12. Februar in der Schaffhauser Ausstellung «Le Corbusier – Baumeister des Interieurs» überzeugen, die drei lokale Firmen zusammengestellt haben: die Betz Wohn-und Bürodesign AG, der Malerbetrieb Schwaninger AG sowie die Galerie Mera.
Die Ausstellung findet statt in den Räumlichkeiten der Betz AG an der Moserstrasse 27. Sie ist es auch, die die Möbel präsentiert, die auf Le Corbusier zurückgehen, darunter vor allem jene vier Modelle, die er ab 1927 in Eigenregie entwarf und in der Folge mit seiner Mitarbeiterin respektive Assistentin Charlotte Perriand zur Produktionsreife brachte – schnörkellose und unvergängliche Klassiker. Diese vier Modelle – etwa die weltberühmten kubischen Sessel – blieben zunächst jedoch fast dreissig Jahre praktisch unbeachtet, ehe die Zürcher Innen­architektin Heidi Weber sie wiederentdeckt hat. Le Corbusier selbst stattete sie 1958 mit einem Exklusivvertrag aus, seine vier ursprünglichen Modelle zu vermarkten, worauf Weber sie in der Zürcher Altstadt in Handarbeit anfertigen liess. Der Erfolg war gewaltig, so dass Weber die italienische Firma Cassina mit der Serien-Herstellung betraut hat. Diese stellt die vier von Le Corbusier abgesegneten Modelle bis heute her. Nach seinem Tod wies Cassina ihm weitere Typen zu, die sie ins Programm aufnahm und weltweit vermarktet.

…seine Farben…

Die Schwaninger AG stellt die Wandfarben Le Corbusiers vor, deren Strahlkraft und Kombinationsfähigkeit eine stets wach­sende Zahl von Bauherren wie namhaften Architekten und Innenarchitekten begeistern. Die Besucher der Ausstellung werden das selbst überprüfen können: Der Beringer Maler­betrieb streicht die Wände in den Ausstellungsräumen mit einer Auswahl der Farben Le Corbusiers.
Die Entwicklung dieser Farben hat ihn zahllose Experimente gekostet – das war es ihm wert, weil ihm die Farbgestaltung seiner Bauten ebenso wichtig war wie die Grundrissplanung. Für seine Ölbilder verwendete er bewährte Künstlerpigmente, darunter etliche natürliche Pigmente. Diese Farben seien schon immer da gewesen, sie würden also wohltuend auf den Men­schen wirken. Was lag näher, als dieselben Farben für seine Gebäude zu nutzen? Allerdings war es fast unmöglich, natür­liche Pigmente vor Ort jeweils so zu mischen, dass man immer wieder exakt den gewünschten Farbton erreichte. Was er brauchte, war ein «Anstrich auf Rollen», und so half er sich selbst: 1931 und 1959 kreierte er für das Basler Unternehmen Salubra zwei Tapetenkollektionen mit 63 Farbtönen. Die Brillanz ist im Vergleich zu synthetisch hergestellten Farben enorm.
Le Corbusiers Originalrezepturen gingen jedoch verloren – eine Herausforderung, die die Schweizer Firma kt.COLOR der Chemikerin Katrin Trautwein angenommen hat: In jahrelanger Arbeit voller Akribie hat sie anhand der von den Rändern seiner Ölbilder abgekratzten Farben und Tapetenmustern die legendären Rezepte zurückgeholt und die über den wechseln­den Trends stehenden Farben Le Corbusiers als Wandanstrich verfügbar gemacht. Das gelang Trautwein auf eine derart präzise Weise, dass Le Corbusiers Erbverwalterin, seine Stiftung in Paris, ihr im Jahr 2000 als einziger die Lizenz erteilt hat, diese Farben unter dem Namen Le Corbusier zu vermarkten und erfahrenen Malerbetrieben wie der Schwaninger AG zur Verfü­gung zu stellen.
…seine Kunst

Komplettiert wird die Verkaufsausstellung von der kürzlich gegründeten Galerie Mera, die sich dem Publikum mit origina­len Künstlergraphiken und Zeichnungen Le Corbusiers vorstellt. Ihre Räume an der Webergasse 17 in Schaffhausen weiht die Galerie kurz darauf – Ende November – mit einer ersten Ausstel­lung ein. Die angebotenen Werke Le Corbusiers hängen an den mit seinen Farben gestrichenen Wänden und Kuben, so dass, zusammen mit seinen Möbeln, ein veritables Gesamtkunstwerk entsteht.
Weiss man um Le Corbusiers zentrale Bedeutung für die moderne Architektur, gewinnt man auf diese Weise auch einen Eindruck, welch immenses Schaffensbedürfnis ihm innewohnte. Sein Drang, die Poesie in unzähligen Erscheinungsformen zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen sowie die Synthese der Künste zu erreichen, liess ihn nicht ruhen. Kraft und Inspira­tion für diese Tour de Force schöpfte er in der Malerei: «Ich denke, wenn man meinem architektonischen […] Werk eine Bedeutung zumessen kann, dann ist das dieser […] Arbeit zu verdanken.»
In der Tat hat er seit 1917 jeden Vormittag mehrere Stunden für seine Kunst reserviert und sie auch als Spielfeld für das Experimentieren mit Flächen, Räumen und Proportionen ge­nutzt. Bereits Anfang der 20er-Jahre hat sich Le Corbusier aber entschieden, diesen Teil seiner Arbeit im Hintergrund zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon bahnbrechenden Erfolg als Architekt, und er fürchtete, deshalb als Maler nicht ernst genommen zu werden. Erst 1938 hat er einer grossen Schau seines künstlerischen Schaffens zugestimmt – gezeigt wurde es im Kunsthaus Zürich. Nur zweimal noch stellte er in einem ähnlich repräsentativen Rahmen aus: 1953 sowie 1962 im Pariser Musée National d’Art Moderne.
Diese Zurückhaltung bewirkte jedoch auch, dass er noch immer vor allem als Architekt weltberühmt ist, obwohl Grössen wie Pablo Picasso, Fernand Léger oder Georges Braque seinen innovativen Geist anerkannten – denn er war es, der, zusammen mit Künstler-Kollege Amedée Ozenfant, den späten Kubismus zum Purismus weiterentwickelte, ein Stil, der die Objekte nicht verfälschte, aber durch das Spiel mit Konturen dennoch ver­schiedene Perspektiven zuliess.
Le Corbusier hinterliess unzählige Zeichnungen und an die 500 Ölgemälde. Die wenigen, die auf den Markt kommen, erzielen regelmässig Millionenpreise. Über sie fand Le Corbusier auch zu seinen graphischen Arbeiten, in denen er eher Linien und Flächen als Formen sprechen lässt. Grösstenteils ebenfalls von Heidi Weber herausgegeben und damit seinem Spätwerk zuzuordnen, sind sie in ihrer Motivwahl und Komposition ein repräsentativer Teil seines gewaltigen Œuvres – und jede für sich ein Original.
«Liebes, beschissenes Vichy» Und was hat es nun mit dem Vorwurf des Antisemitismus auf sich? Le Corbusier hatte seine Schattenseiten, ja, denn un­bestritten ist, dass einigen seiner Entscheidungen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs ein bitterer Nachgeschmack innewohnt – zum Beispiel jener, dass er kurz nach der Installierung des Vichy-Regimes aus Paris in den Kurort zog und dort Klinken putzte. In seinem missionarischen Eifer als umstürzlerischer Städteplaner hoffte er auf Aufträge in Algier, die sich, glaubte er, unter einem autoritären Regime eher verwirklichen liessen als in einer Demokratie; so hat er vorher für Stalin gebaut, und für Mussolini hätte er gern gebaut. Das Unheil in Europa nahm er mit seinem Tunnelblick nicht wahr – oder wollte es nicht wahrhaben. Gebracht hat ihm seine opportunistische Anbiederung nichts, keinen einzigen Auftrag konnte er ergat­tern, bis er schliesslich mit den Worten abzog: «Adieu, liebes beschissenes Vichy.»
Tatsache ist auch, dass in seinen rund 7000 privaten Briefen judenfeindliche Äusserungen auftauchen – Ausrutscher, die ihren Ursprung wohl in den Streitereien mit seinen ersten jüdischen Bauherren in La Chaux-de-Fonds haben. Der fatale Zeitgeist, gegen den er – wohlgemerkt bei weitem nicht als einziger – nicht immun war, machte Le Corbusier solch üble Äusserungen nicht schwieriger. Andererseits zählte er einige Juden zu seinen Freunden. Und ist in seinem Werk etwas von den absurden Vorwürfen zu spüren?
Ohnehin hatte Le Corbusier auch eine andere Seite, wie der vom Kunsthistoriker Stanislaus von Moos zitierte Auszug aus einem 1938 verfassten Aufsatz Le Corbusiers zeigt (Tages-Anzeiger vom 29. September): «Das Schicksal von sechs Millio­nen Juden, die […] einem oft unerträglichen Rassenhass aus­gesetzt […] sind, ist heute eines der grössten Probleme der Epoche. […] Es genügt, sich zu vergegenwärtigen, wie direkt der Antisemitismus mit der pangermanischen Propaganda und die Judenverfolgungen mit den Kriegsvorbereitungen zusammen­hängen, um zu merken, wie unmittelbar die Gefahr ist, die in diesen Worten zum Ausdruck kommt.»

Dieser Text wurde von Tomas Rabara verfasst.

«Le Corbusier – Baumeister des Interieurs.

Seine Möbel. Seine Farben. Seine Kunst.»

Vernissage am 11. November an der Moserstr. 27, Schaffhausen.

Ausstellung bis 12. Februar 2011

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